Neue Interviews

Seit Jahresanfang sind zwei Interviews mit Andreas Trogisch zu seiner fotografischen Arbeit erschienen: Mitte Januar eins in MonoVisions, einer Website speziell für Schwarz-Weiß-Fotografie und eins auf Vice.com, das schon im letzten Sommer geführt wurde, aber wegen der Rückübersetzung ins Deutsche erst jetzt erschien.

Gute Presse

Von Denis Brudna, erschienen in Photonews Heft 09/14

Andreas Trogisch stellt die Fotografie auf den Kopf. Seine überwiegend tiefschwarzen Bilder machen nicht nur deutlich, warum die monochrome Fotografie nie ganz aussterben darf, sie offenbaren zudem Erstaunliches.

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Trogisch rückt das sonst Tiefen und Schatten bildende Schwarz in den Vordergrund seiner Kompositionen. Die Schwarznuancen dominieren, als würden sie aus sich heraus strahlen. Es ist eine melancholische Welt, aus der Trogisch berichtet. Etwas morbide, alltagsfern, verwirrend und beunruhigend zugleich. Meditativ und voll von Energie, die fast jeder verspüren kann. Und das Thema? Es gibt im eigentlichen Sinn kein Thema, nur die Fotografie selbst. Pur, als Zeugin jener Momente, die man als magisch bezeichnen kann. Angehaltene Zeit in Schwarzweiß, Ausschnitte des Lebens wie aus einer anderen Dimension, Alltägliches ins Surreale transformiert und immer wieder Schatten, die aus einem Urschwarz geespeist werden. Da kommt einem der Begriff «amerikanische Nacht» in den Sinn. Als Stilmittel beim Film werden hierbei Nachtszenen am Tage bei hellem Sonnenschein mit starken Graufiltern gedreht, wodurch der Eindruck nächtlicher Stimmungen simuliert wird. Viele von Trogischs Bildern vermitteln den Eindruck, sich dieser Technik bedient zu haben. Das die jeweiligen Szenen erleuchtende Licht kann von der Sonne wie vom Mond stammen. Trogisch bleibt in seinem Schaffen konsequent. Bild für Bild sucht und findet er Motive, die sein übriges Œvre ergänzen und erweitern, ohne dabei zu sehr von der markierten Linie abzuweichen. Kritisch betrachtet könnte man auch sagen dass sich der Fotograf immer wieder selbst zitiert. Doch in diesem Fall wirken die verdenen Interpretationen einer Idee keinesfalls langweilig. Aufmerksame Bezrachter werden bei einigen Bildern ein Déjà-vu verspüren. Ja, ein Teil der in diesem Buch präsentierten Bilder wurde bereits 2011 in dem limitierten Mappenwerk «Desiderata» veröffentlicht (s. Photonews 11/2010). Das stört jedoch nicht. Erstens war die Auflage der Mappe klein und damit schnell vergriffen und zweitens kann man sie in diesem neuen Buch in einer gänzlich neuen, beeindruckenden Qualität betrachten. Ohne zu sehr in drucktechnische Details abgleiten zu wollen, ist die Wiedergabe der Bilder unbedingt erwähnenswert, weil diese daduch einen beeindrukende Präsenz erhalten haben. Die Reaktionen der Buchbetrachter sind ziemlich änhlich. Jeder, der das Buch öffnet, bleibt nach einigen Seiten hängen und streicht andächtig über die Druckseiten, um sie auch haptisch zu erfassen. Hervorragende Zeichnung in den Lichtern und Schatten, einladende Haptik der ungestrichenen Papiers – als wären die Seiten in Kupfertiefdruck gedruckt. Dabei handelt es sich um 5-Farben-Digitaldruck, was man kaum vermuten würde. Eine spezielle Separation der Bildvorlagen und die durch Proben ermittelte Fixierung mit einem «Matt Fuser» bewirken, dass die Bilder absolut matt wiedergegeben werden, ohne dass dabei die Tonigkeit, wie sonst oft, leiden würde. Im Gegenteil, die brillianten Drucke springen einem buchstäblich ins Auge. Ein überzeugender Beleg dafür, was heute mit Digitaldruck alles möglich ist. Trogischs sehenswerte Fotografien gepaart mit dem bemerkenswerten Druck ergeben am Ende ein anregendes Fotobuch, das aus der Vielzahl der Neupublikationen eindeutig herausragt.


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Warum fotografieren?

Vortrag von Andreas Trogisch an der Universität Siegen, veröffentlicht in der Hochschulpublikation «Intervention VI»

Warum fotografieren? Warum nicht etwas anderes machen: malen beispielsweise? Warum fotografieren, wenn es keinen Auftraggeber und keinen Abnehmer für die Bilder gibt? Warum fotografieren, wenn anscheinend doch schon alles fotografiert ist? Wenn eine Bilddatenbank damit wirbt, dass sie 10.000 neue Bilder hat – und zwar täglich – das Stück zu 21 Cent?

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Das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit hat sich um eine Dimension erweitert: Es werden nicht mehr massenhaft Kopien eines Motivs verbreitet, sondern die Motive selbst werden systematisch und großindustriell erzeugt. Wozu also noch mehr Zeit und Material verschwenden und noch mehr Bilder herstellen? – Natürlich werden immer Fotos gebraucht werden; wovon ich hier reden will, meint aber nur einen winzigen Ausschnitt aus dieser Bildproduktion, nämlich die sogenannte „Kunstfotografie“, die für sich aber auch schon riesige Bilderberge angehäuft hat.

In einem fühle ich mich wie alle Menschen mit einem Fotoapparat: Der Impuls, zur Kamera zu greifen, wenn irgendetwas geschieht, scheint tief in uns verwurzelt zu sein, so als wäre die Massenfotografie zwar erst vor hundert Jahren ans Licht getreten, aber schon immer im menschlichen Genom angelegt gewesen. Es ist ja schon alles fotografiert worden, aber jeder will es noch einmal fotografieren, nur für sich selbst und da es so einfach ist, tut er es auch. Jeder will SEIN EIGENES Bild haben, sich ein eigenes Bild MACHEN. Das ist nahe an den Basisaffekten des Menschen allgemein: Jeder hat für sich alleine seinen eigenen Hunger, seinen eigenen Liebeskummer, sein eigenes Fern- und Heimweh, und jeder hat ein Recht auf einen Ausdruck für diese Gefühle. Interessant ist es zu untersuchen, was mit diesen Bildern nach ihrer Anfertigung geschieht: werden sie einfach nur weggespeichert und dann vergessen?

Verhält es sich aber tatsächlich so, dass man es „nur für sich selbst” noch einmal fotografiert? Ist ein Bild nicht auch ein Kommunikationsmittel? Kann es sein, dass ich mir sage: das muss ich dem oder der oder einfach nur irgendwem zeigen – wem in der Familie will ich mitteilen, wie die Weihnachtsbescherung war, wo doch alle dabei waren? Oder geht es vielleicht um die Erinnerung, das Festhalten eines Augenblicks, der eine Bedeutung hat (oder dem wir eine wünschen)? Warum riskiert man, dass diese wertvollen Augenblicke nicht das nächste Systemupdate überleben? Lässt sie auf veraltenden Speichermedien liegen, bis es keine Lesegeräte mehr dafür gibt? Geht damit noch achtloser um als meine Mutter, die das Wenige an Bildern, was der Familie nach der Flucht aus Königsberg, Ostpreußen, noch übrigblieb, ungeordnet in einem Schuhkarton aufbewahrt? Diese Bilder – weil auf Papier – sind aber auch nach neunzig Jahren noch ohne irgendwelche Hilfsmittel ansehbar. Die heutigen verschwinden vielleicht so schnell und schmerzlos wieder, wie sie gemacht wurden.

Aber kaum habe ich diese Impulsverwandschaft festgestellt, fangen auch schon die Unterschiede an. Zum Einen bin ich noch nie in der Lage gewesen, ein zufriedenstellendes Erinnerungsfoto zu machen, weder ein Porträt noch eine soziale Situation, weder eine Landschaft noch ein Interieur. Immer fehlt etwas, was auf solchen Bildern das Wichtige ist; die Menschen, die mich um derartige Bilder bitten, sind regelmäßig enttäuscht. Warum das so ist, hat damit zu tun, dass wichtige Sachen nicht immer wichtig aussehen und andererseits im Unwichtigen sich etwas Wichtiges visualisieren kann. Auf diese Glücksmomente bin ich angewiesen – mit den Worten von Robert Adams: „Useful Pictures don’t start from ideas. They start from seeing.“

Zum Anderen ist es der Anspruch an die Dauerhaftigkeit der Bilder: Ein Bild ist erst dann ein Bild, wenn es sich materialisiert hat, wenn es ein Gegenstand geworden ist, „wenn man es an die Wand hängen kann“.

Und zu guter Letzt: Ich reagiere nicht nur bewusst auf die Bilder, die vor der Kamera sind, sondern auch auf die, die dahinter, in meinem Kopf sind: Alles, was ich jemals an Fotos gesehen habe, bestimmt die Form eines neuen Bildes mit – als Kommentar, als Bestätigung, als Antithese, als Parodie. Damit bin ich nahe an dem, was die Fotografie ausmacht – so wie Ernst Gombrich Heinrich Wöfflin mit dem Satz zitiert: „Jedes Bild verdankt anderen Bildern mehr als der Natur.“ In der Malerei ist es relativ offensichtlich, wie sich die Ansammlung von Bildwissen im Laufe der Zeit vollzieht. In der Fotografie ist das nicht so leicht sichtbar, weil die angebliche Naturtreue der Wiedergabe das Haupthindernis zur Erkenntnis des eigentlichen Wesens einer Fotografie ist. Es geht im Grunde um das Abbilden von Gegenständen und Sachverhalten, die andere schon längst entdeckt haben, mit Methoden und Geräten, die technisch definiert sind, um Bilder zu erhalten, die sich an anderen Bildern orientieren, die sich wiederum an Bildern aus anderen Medien orientiert haben. Mit anderen Worten, denen von Vilem Flusser: der Fotograf wird zum Funktionär seiner Kamera und führt in den allermeisten Fällen nur das Programm seines von der Fotoindustrie programmierten Apparates aus.

Lisette Model beklagte dies treffend, aber ungerecht, als sie anmerkte, das jeder zeitgenössische Fotograf (das war Anfang der 80er Jahre) angebe, „Menschen“ zu fotografieren, aber dabei nur Bilder reproduziere, die andere schon von Menschen gemacht hätten. Den wirklichen Menschen würden sie gar nicht betrachten. Das ist ebenso so richtig wie falsch. Einerseits fordert es die aufrichtige Beschäftigung mit der Wirklichkeit. Andererseits behauptet aber dies die Möglichkeit, die „Außenwelt“ unverdorben und unvoreingenommen wahrnehmen zu können, was aber niemand leisten kann. Ohne die Bilder, mit denen jeder Mensch aufwächst, hätte er überhaupt kein Sensorium für die Wahrnehmung der Welt, wäre also unfähig zur Erzeugung von Bildern. Natürlich ist es wahr, dass Bilder nicht nur aus Bildern produziert werden sollten. Fotografie ist aber von Natur aus zitierend, das heisst sie kommt nicht ohne ein Motiv vor der Kamera und nicht ohne eine Bildvorstellung hinter der Kamera aus.

Fotografie ist schwerer als andere Künste als „Schöpfung“ zu erkennen, weil ihre Eigenschaft als „Abbildung“ dies zu stark verdeckt. Die Gegenständlichkeit ist das größte Hindernis bei der Betrachtung von Fotos: Es ist wie mit den sogenannten „falschen Freunden“, mit denen Dolmetscher zu kämpfen haben, wenn sie in amerikanischen Filmen hartnäckig „fishing“ mit „Fischen“ statt mit „Angeln“ übersetzen – die Ähnlichkeit der Wörter täuscht darüber hinweg, dass sie jeweils Unterschiedliches bedeuten. In diesem Sinne ist etwa Egglestons Foto eines Dreirades eben etwas anderes als nur ein Foto von einem Dreirad.

Im Gegensatz zu Gemälden kann man fotografische Bilder nicht ohne weiteres kopieren. Man kann ein Foto abfotografieren – was absurderweise laut Urhebergesetz eine eigene neue schützenswerte Schöpfung darstellt. Aber eine Fotografie nach einer Fotografie wirklich neu zu erschaffen, ist nahezu unmöglich. Trotzdem wird es immer wieder versucht, und zwar in einem produktiven Sinne. Es ist die Transzendenz des alten Meister-Schüler-Prinzips: Versuche, genau so ein Foto wie dieses hier zu machen, und du wirst sehen, dass es nicht geht. Das, was vom Vorbild abweicht, bist du, ist dein Stil, ist deine Zeit. Trotz allem Bestehen auf Individualität und Freiheit geben alle großen Fotografen unumwunden zu, von anderen beeindruckt und beeinflusst zu sein. So kann man die Geschichte vor- und zurücksurfen: zum Beispiel von Atget zu Walker Evans zu Robert Frank zu Ralph Gibson und von dort wieder zurück über Bill Brandt und Man Ray zu Atget.

Oft geht es dabei nur um eine spezielle Form von Energie, die das Werk der Vorbilder durchzieht. Diese Intensität ist die Norm, hinter die man als Nachgeborener nicht zurückfallen darf. Motive pflanzen sich genauso fort wie Sehweisen und werden Teil des allgemeinen Bildgedächtnisses und entwickeln sich in jeder Wiederkehr weiter. Aber immer geht es um den Anspruch, aus dem Programm auszubrechen, das in die Apparate, die Verfahren, die Erwartungen eingeschrieben ist und uns dazu anhalten will, das vorgezeichnete Universum der fotografischen Bilder vollständig auszutapezieren.

Kann Fotografie die Welt verändern? Sie kann, und zwar weil sie die Art verändert, wie wir die Welt sehen.
Wenn Fotografie etwas wirklich Wertvolles leisten kann, dann ist es Subversion: nicht in die Richtung zu sehen, in die alle zeigen.

Interview Typoversity

Für das Buch «Typoversity 2» wurden Heike Grebin als Jurymitglied acht Fragen gestellt.

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Eins: Wie lautet Ihre persönliche Hotlist der fünf Schriftenfavoriten?
Akkurat, Apercu, Skolar, Dolly, Malaga, Notes

Zwei: Welche No-Gos gibt es Ihrer Meinung nach im Umgang mit Schrift?
Es ist alles möglich, was in Auseinandersetzung mit einer inneren (Entwurf, Gestaltungshaltung) oder äußeren Notwendigkeit (Kontext, Kommunikationsziel) entsteht. Das setzt aber eine gewisse Sicherheit im Umgang mit Schrift voraus oder die geniale Naivität.

Drei: Nach welchen Kriterien wählen Sie eine Schrift für Gestaltung aus?
Ich bevorzuge Schriften, deren innere Architektur der Schrift selbst und somit der Gestaltung eine Haltung gibt.

Vier: Welche Aspekte typografischer Ausbildung von Studierenden sind Ihrer Meinung nach wichtig in der Lehre?
Entwicklung des Verständnisses für die gestalterische Kraft der typografischen Elemente. Entwicklung des Bewusstseins für die inhaltliche Struktur eines Textes und die Fähigkeit, diese mit Typografie zu unterstützen. Entwicklung einer Virtuosität beim Gestalten mit Schrift und eines gestalterischen Willens.

Fünf: Was würden Sie Anfängern im Bereich Schriftdesign oder Schriftanwendung empfehlen? Gibt es aktuelle Buchtipps aus der Generation nach Hans-Peter Willberg?
De Jong, Stephanie/De Jong Ralf: Schriftwechsel. Verlag Hermann Schmidt Mainz. Forssmann, Friedrich: Detailtypografie. Verlag Hermann Schmidt Mainz. und offene Augen!

Sechs: Braucht die Welt gute Typografie? Wie kann man die Gesellschaft für schöne Schriften begeistern?
Gute Typografie macht das Leben leichter und schöner — ein ausreichender Grund für Begeisterung!

Sieben: Wie kann man Auftraggeber von der Notwendigkeit guter Typografie überzeugen? Wie gewinnt man sie, eine neue Schrift zu kaufen und nicht auf Standardcomputerschriften zurückzugreifen?
Wenn eine grafische Arbeit in ihrer Gesamtheit überzeugt, überzeugt sie auch in der Wahl und Verwendung der Schrift.

Acht: Welches typografische Projekt würden Sie gern einmal umsetzen — jenseits von Zeit und Budgetplanung?
Eine Sammlung von Methoden in der Lehre der Typografie.

«Typoversity 2», herausgegeben von Patrick Marc Sommer und Andrea Schmidt, Norman Beckmann Verlag